In diesem Jahr wird die German Coworking Federation (GCF) bereits fünf Jahre alt. Anlässlich des Jubiläums unseres Bundesverbandes, wollen wir euch engagierte Mitglieder vorstellen, die den Verband geprägt haben, aktiv weiterentwickeln und Ausdruck der Vielfalt innerhalb unseres Netzwerkes sind. Den Anfang macht Johanna Voll, engagiertes GCF-Mitglied und renommierte Coworking-Forscherin.
Die Bedeutung der Grundlagenforschung liegt darin verankert, dass sie ein Elementarwissen für weitergehende Forschung und Anwendung schafft. Demzufolge ist die Leistung von Johanna Voll für das Thema Coworking kaum zu überschätzen. Seit Jahren schon forscht die Gründerin der “Coworking Library” an dem Thema und hielt sogar diverse Kurse dazu.
Seit 2016 engagiert sich Johanna auch in der German Coworking Federation e.V. (GCF). Sie gehört mit zu den treibenden Kräften hinter der Weiterentwicklung des Verbandes. Anlässlich des fünfjährigen Gründungsubiläums unseres Coworking-Bundesverbandes, haben wir uns mit Johanna getroffen, um mit ihr über ihre Forschungsarbeit zu sprechen.
Lässt sich ein so junges Thema wie Coworking gut erforschen?
Auf jeden Fall! Die wissenschaftliche Forschung zu aktuellen Themen rund um die sich verändernde Arbeitswelt ist für mich seit 10 Jahren ein fester Bestandteil meiner Arbeit an der Europa-Universität Viadrina, aber auch generell. Das sehen wir an dem wachsenden Interesse und den daraus resultierenden Forschungsprojekten, die sich explizit mit Coworking auseinandersetzen.
Und zwar auf ganz unterschiedlichen Ebenen: Von kleineren Erhebungen im Rahmen von (studentischen) Abschlussarbeiten, Seminargruppen, der wachsenden Anzahl an Dissertationen zum Thema, oder eben großen – oft international angelegten – Forschungsprojekten, z.B. der global aktiven Researchgroup Collaborative Spaces (RGCS) oder im Rahmen des europäischen Forschungsnetzwerks COST Action (The Geography of New Working Spaces and the Impact on the Periphery).
Es gibt eine Fülle an Papers und Publikationen zum Thema, sodass einzelne Aspekte schon als überforscht bezeichnet werden könnten. Als Antwort darauf haben wir die Coworking Library gegründet, in der wir all das sichtbar machen und die digitale Wissenschaftskommunikation zum Thema vorantreiben.
Was interessiert dich an der Erforschung von Coworking?
Tatsächlich geht das auf ein Seminar zu neuen Erwerbsformen im Rahmen meines Masterstudiums zurück, in dem ich das erste Mal Coworking Spaces in Berlin wissenschaftlich untersucht habe. In meiner Masterarbeit habe ich dann selbst Spaces mit angegliederter Kinderbetreuung untersucht. Während meiner Forschung bin ich mit so vielen spannenden Konzepten und Menschen in Kontakt gekommen, dass mich das Thema bislang nicht mehr losgelassen hat.
Besonders interessant finde ich dabei den Aspekt der Gemeinschaftsbildung innerhalb der Spaces, aber eben auch darüber hinaus in Verbänden und Allianzen als Ausdruck der Coworking-Bewegung. Dies führte mich dann auch zur German Coworking Federation und in die European Coworking Assembly (ECA), die europäische Vertretung von unabhängigen Coworking Spaces.
Hat dich der Erfolg deiner Coworking Library überrascht?
Gemeinsam mit den Co-Foundern der Library, Carsten Foertsch und Hector Kolonas, freuen wir uns natürlich sehr über den Erfolg der Coworking Library. Mit der Online-Datenbank wollen wir darauf aufmerksam machen, dass es zahlreiche Publikationen zum Thema gibt und dazu anregen, neuen Forschungsfragen nachzugehen. Denn leider sehen wir auch die Entwicklung, dass besonders in kleineren Projekten stets die gleichen Fragen gestellt werden. Bislang haben wir mehr als 260 Einträge sammeln können und wachsen weiter.
Darüber hinaus entwickeln wir Formate zum Austausch über aktuelle Impulse der Coworking-Forschung. Ich bin da selbst immer wieder überrascht, welche Aspekte des Themas aus ganz unterschiedlichen Disziplinen betrachtet werden können. Schließlich hat die Transformation der Arbeitswelt weitreichende Auswirkungen auf unser aller Leben.
Beschreibe uns bitte die Arbeit der Coworking Library.
Die Library ist in erster Linie eine frei zugängliche Online-Ressource, die Informationen für alle danach suchenenden Menschen bietet. Neben Statistiken legen wir den Fokus auch auf tiefergehende, qualitative Forschung und deren Ergebnisse. Alle Abstracts sind sowohl in der Originalsprache der Publikation, als auch auf Englisch verfügbar. Gut drei Viertel der Einträge sind frei verfügbar (Open Access) und können direkt gelesen werden. Damit bieten wir einen guten Überblick über die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema.
Ein Grund, warum wir die Coworking Library aufgebaut haben und auch weiterhin kuratieren ist die Flut an digitalen Umfragen, die Coworking Spaces und Coworker quasi täglich erreichen. Wir freuen uns sehr, wenn Betreibende dann auf uns verweisen, sodass die Umfrageersteller*innen vorab schauen können, ob ihre Forschungsfrage nicht schon beantwortet wurde, um dann spannendere Fragen zu stellen. Denn mit der Weiterentwicklung von Coworking, (virtuellen) Arbeitsumgebungen und der Flexibilisierung von Arbeit generell, ergeben sich immer wieder neue Aspekte, die betrachtet werden können. Gerade im Zuge der Corona-Pandemie merken viele Menschen, dass auch ihr Job nicht an die Firmenzentrale oder das klassische Büro gebunden sein muss.
Unsere Arbeit basiert größtenteils auf dem ehrenamtlichen Engagement vom Team und unserem Netzwerk. Daher sind wir immer offen für Kooperationen und Unterstützer*innen. Auch in Zukunft wollen wir die Library und ihre Funktionen weiter ausbauen und z.B. eine Matching-Plattform von Forschenden und Spaces, die “beforscht” werden wollen aufbauen.
Du bist ohne Coworking Space Mitglied der GCF. Warum?
Zunächst fand ich es spannend, was Menschen antreibt, sich jenseits der eigenen Spaces auf einer höheren Ebene zusammenzuschließen. Ich glaube daran, dass wir gemeinsam mehr erreichen können und dass das, was im Kleinen innerhalb von Coworking Spaces funktioniert, auch auf einer Metaebene sinnvoll ist: Die Zusammenarbeit in diversen Teams auf Basis von Kollaboration und Kooperation bringt uns alle weiter und führt nicht selten zu innovativen Konzepten und Projekttransfer.
So muss das Rad nicht immer wieder neu erfunden werden und die GCF, als Bundesverband für alle Interessen von Coworking Spaces und Coworking-Interessierten gleichermaßen, steht in besonderem Maße für diesen Austausch und die kontinuierliche Weiterentwicklung der Coworking-Kultur. Ich mag den Austausch, aber auch das kritische Hinterfragen innerhalb des Verbands. Diese Prozesse sind nicht immer einfach, aber ich bin mir sicher, dass nur dadurch wirklich Neues entstehen kann.
Mir ist es daher wichtig, dass der Verband möglichst viele Interessen vertritt und alle Stimmen gehört werden – nicht nur die lauten. Die GCF steht damit symbolisch für das, was mich an dem Thema seit einem Jahrzehnt so fasziniert, nämlich die Diversität von Coworking Spaces, die dennoch eines verbindet: Räume für eine Gemeinschaft zu kreieren und zu kuratieren, in denen sich Menschen begegnen um gemeinsam Projekte voranzutreiben. Das möchte ich in den kommenden Jahren auch in meiner Wahlheimat Halle (Saale) in einer alten Brauerei am Fluss umsetzen und ausprobieren.
Vielen Dank für das Gespräch.
Bild: “Johanna Voll” von Sarah Rüger